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Selbstdiagnose im Netz – das Informationsbedürfnis der User als Chance für Pharmaunternehmen
Etwa jeder dritte deutsche Internetnutzer recherchiert im World Wide Web über Gesundheitsthemen (vgl. Eichenberg/Brähler 2013). Die Tendenz steigt sogar mit verbreiteter Internetnutzung und voranschreitender Digitalisierung weiter an. Dieses Userverhalten stellt ein großes Potenzial für Pharmaunternehmen dar und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, Patienten vor den Risiken der Selbstdiagnose im Zusammenhang mit fehlenden validen Quellen zu schützen.
Das wollen Patienten wirklich, wenn sie zur Selbstdiagnose greifen
Die Motivationen für eine Selbstdiagnose im Netz können unterschiedlicher Natur sein. Manche Menschen wollen einfach nicht viel Zeit in den Wartezimmern verbringen oder wenigstens schon vorher wissen, ob sich dieser Aufwand tatsächlich lohnt. Außerdem wollen viele Patienten im digitalen Zeitalter nicht mehr unmündig den Behandlern gegenüber stehen, sondern ihr Mitspracherecht wahrnehmen. Manche wollen sich schützen, um nicht auf einzelne „schwarze Schafe“ im Gesundheitsbereich reinzufallen. Denn diese sind durch verstärkte mediale Aufmerksamkeit, zum Beispiel über das nicht notwendige Anbieten von IGeL-Leistungen, vermehrt in das Bewusstsein der Patienten geraten. Generell ist das Bedürfnis nach Informationen zu gesundheitsbezogenen Themen im Zuge der Digitalisierung und des Trends zum gesundheitsbewussten Leben gestiegen.
Patienten wollen im Hinblick auf ihre Selbstdiagnose konkret von „Dr. Google“ wissen, welche Krankheit sie haben, Hintergrundinformationen zu diesen Krankheitsbildern erhalten und erfahren, welche Therapiemöglichkeiten angeboten werden. Aus diesen Informationen leiten Patienten nicht selten ab, ob ein Gang in eine Praxis notwendig ist.
Weiterhin haben User den Anspruch an valide Informationsstrukturen und damit neutrale Quellen. Dieser Punkt ist deshalb so entscheidend, da nur eine als glaubwürdig wahrgenommene Website weiter verwendet und nicht sofort wieder verlassen wird. Nicht zu vernachlässigen ist außerdem, wie User die Informationen im Web auswählen. Häufig sind nur solche Ergebnisse relevant, welche weit oben in den gängigen Suchmaschinen wie Google gelistet werden. Insgesamt ist festzuhalten, dass ein ausgeprägtes Informationsbedürfnis bezüglich Gesundheitsinformationen im Netz seitens der Patienten vorhanden ist.
Mangelnde Informationsqualität
Die Eigenschaft des Internets 2.0, dass jede Person sogleich Konsument als auch Produzent von Informationen sein kann, führt dazu, dass Informationen nicht gefiltert werden und auch Laien Beiträge verfassen können. So kommt es im Bereich Gesundheit oft zu Falschinformationen oder zum Unterlassen von wichtigen Informationen. Aber auch seriöse Quellen bieten meist nur unzureichende Informationen, um solche komplexe und individuelle Sachverhalte wie Krankheitsbilder zu erläutern oder gar zur Diagnostik zu dienen. Den Suchenden fehlt hierbei oft das Feingefühl, um diese Mängel selber zu erkennen. Dementsprechend kann eine Gesundheitsrecherche im Netz unnötig Zeit und auch Geld kosten, zu Stress führen und im schlechtesten Fall sogar negative gesundheitliche Folgen haben (vgl. White/Horvitz 2009). Wenn Inhalte aus dem Netz Stress und Angst hervorrufen oder intensivieren, wird von einer sogenannten „Cyberchondrie“ gesprochen (vgl. White/Horvitz 2009). Dazu gehört unter anderem, dass User fälschlicherweise von weit verbreiteten Symptomen auf schwerwiegende Krankheiten schließen (vgl. Eichenberg/Wolters 2013). So wird aus Kopfschmerzen Krebs und aufgrund einer Erkältung müssen beide Beine amputiert werden.
Sowohl Cyberchondrie als auch Fehldiagnosen in Verbindung mit eigenen Therapiemaßnahmen stellen ein ernst zu nehmendes Problem dar, weil sie zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können. Aufgrund der erwähnten Risiken lehnen Healthcare Professionals Selbstdiagnostik und internetbasierte Informationen mehrheitlich ab. Dies ist besonders dann der Fall, wenn Patienten diese Informationen selber zur Sprache bringen, ohne dass ärztliches Fachpersonal ein Thema vorher besprochen hat oder wenn Patienten eigene Therapiemaßnahmen eingeleitet haben. Die darauffolgende notwendige Richtigstellung und Aufklärungsarbeit steigert den Workload und wird als zusätzliche Bürde empfunden. Es besteht also auch seitens des ärztlichen Fachpersonals ein Bedürfnis nach validen Informationsangeboten für Patienten (vgl. Ahmad et. al. 2006).
Handlungsempfehlungen
Pharmaunternehmen bündeln bereits Expertenwissen, daher ist die Informationsvalidität gegeben. Doch das reicht heute im Netz nicht mehr aus.
Richtige Informationen müssen richtig gesehen, richtig verstanden und richtig bewertet werden.
Um richtig gesehen zu werden, müssen Informationen bzw. Websites zu allererst gefunden werden. Es gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Beziehungsweise: Wer zuerst bei der Google-Suche erscheint, bekommt Klicks und der Rest nicht. Das bedeutet, dass eine Website bei den relevanten Suchanfragen unter den ersten Ergebnissen erscheinen sollte. Dementsprechend sind insbesondere eine Suchmaschinenoptimierung aber auch weitere aufmerksamkeitsfördernde Maßnahmen unabdingbar.
Richtig verstehen bezieht sich darauf, wie Patienten die Informationen aufnehmen. Es muss beachtet werden, wie Patienten mit den Informationen umgehen. Es darf keine Cyberchondrie ausgelöst werden. Daher stellt eine differenzierte und vor allem empathische Patientenansprache einen wichtigen Skill dar, dem leider häufig zu wenig Aufmerksamkeit bei der Website-Erstellung geschenkt wird. Unsere Erfahrung hat gezeigt, wie wichtig es ist, Informationen durch die Brille des Patienten zu sehen, um gezielt die gewünschte Message zu vermitteln. Zusätzlich ist es entscheidend, darauf hinzuweisen, dass die Informationsaufnahme in Bezug auf Selbstdiagnostik nicht den Gang in eine ärztliche Praxis ersetzt. So werden Patienten auch vor letztlich falschen Rückschlüssen geschützt.
Richtig bewertet müssen Informationen dahingehend, dass sie als neutral und glaubwürdig eingeschätzt werden. Nur dann werden die Quellen weiter genutzt. Viele Pharmaunternehmen nutzten bereits Kommunikationsmarken, um eine größere Neutralität zu erzielen. Wer einmal eine solche als neutral wahrgenommene (Kommunikations-)Marke aufgebaut hat, sollte Synergieeffekte nutzen und diese Marke bei ähnlichen Informationsprojekten verwenden, anstatt in die Glaubwürdigkeit von vielen kleinen Marken zu investieren.
Nur wenn all diese Punkte beachtet werden, ist gewährleistet, dass die Informationsbedürfnisse des Patienten und indirekt die der Healthcare Professionals im Hinblick auf Selbstdiagnosen nachhaltig befriedigt werden.
Literaturverzeichnis
Ahmad, Farah / Pamela L. Hudak / Kim Bercovitz / Elisa Hollenberg / Wendy Levinson (2006): Are Physicians Ready for Patients With Internet-Based Health Information?, in: Journal of Medical Internet Research, Jg. 8, Nr. 3: e22, doi: 10.2196/jmir.8.3.e22.
Eichenberg, Christiane / Elmar Brähler (2012): Internet als Ratgeber bei psychischen Problemen, in: Psychotherapeut, Jg. 58, Nr. 1, S. 63–72, doi: 10.1007/s00278-012-0893-0.
Eichenberg, Christiane / Carolin Wolters (2013): Cyberchondrie – ein modernes Symptom?, in: NeuroTransmitter, Jg. 24, Nr. 7–8, S. 28–32, doi: 10.1007/s15016-013-0264-2.
White, Ryen W. / Eric Horvitz (2009): Cyberchondria: Studies of the escalation of medical concerns in Web search, in: ACM Transactions on Information Systems, Jg. 27, Nr. 4, S. 1–37, doi: 10.1145/1629096.1629101.
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